apologie


Apologie auf John Steinbeck

Achim Stanislawski


Flaubert hat einmal über sein Meisterwerk „Madame Bovary“ gesagt, er habe darin nur einen bestimmten Gelbton darstellen wollen. Von einer ähnlichen Schönheit in der Einfarbigkeit leben die Texte John Steinbecks. Die Meisterschaft dieses Autors, und das ist eine Fähigkeit die ihn zu den Großen auf den Parnass führt, liegt in den Tönen und dem Tönen des falben Grases. Oder den/ dem der rotbraunen Erde.1 Im Humus, der eher ins Auge gefasst ist, als die daraus erblühenden Stilblüten.
Welcher Schriftsteller kann noch, oder konnte je der Erde ihr Gewicht geben und erging sich nicht in Wolkenflügen, in den verzweifelten Versuchen sich Flügel wachsen zu lassen?
Steinbeck. Einzig Steinbeck hat den Geruch und den Staub der Erde zwischen den Seiten. Doch die hieraus entstehende Reibung  lässt ihn nicht Stocken, sie ist sein eigentliches Schmiermittel. Nicht nur die süßkehligen Vögel singen, denn dürften nur die Prousts und Pessoas ihre Stimmen erheben, wäre es still in literarischen Wald. Wenn überhaupt, könnte man bildlich hier von der Trappe sprechen, deren schwerfälliger Körperbau in der Lektüre berücksichtigt sein will.2 Weiter noch, geht es hier um eine völlig andere Art in den Text zu sehen, eine andere Position, in der man vor ihm sitzen muss, als man es von diesen Ziervögeln gewöhnt ist. Es ist immens wichtig die richtige Lesehöhe zu seinen Texten einzunehmen. Der so oft schon auf genialsten Weisen auf die Schwindel erregenden Höhen der Imagination geführte Leser muss hier Literatur ertragen können, muss bereit sein sich  belasten zu lassen, sich in sie gleiten zu lassen wie in ein Moor, muss ruhig bleiben und sich die Weste ruinieren lassen. Es gibt dort einfach nicht genug Aufwind um zu fliegen, die Flughöhe zu dieser Schreibweise ist die eines halb eingesunkenen Hauses. Dem entsprechend ist von den vier Weltkräften [siehe Anhang I] die Gravitation die hier wirkende. Gravitas [siehe Anhang II], die Schwere und Last, dennoch auch Würde und Bedeutung ist. In diesem Zustand, der Schwangerschaft, stellt das Leben hier unerträgliche Aufgaben, zerdrückende Lasten auf.  Das Gesetz dieser Sphäre verlangt Leiden zu ertragen, damit ein fruchtbarer Ertrag eingefahren werden kann. Nach dem Kern der Dinge, dieser anderen Kraft, wird hier nicht gefragt.


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Steinbecks Kritiker haben ihn gehasst, weil er Menschen zu Tieren macht; und das ist eine sehr gute Beobachtung. In „The Grapes of Wrath“ und „The Pearl“ wanken eher Tiere als Menschen durchs Leben, sind die Akteure seelisch entkernt, oder mit Nietzsche gesagt, sind sie nur halb aufgestellte Tiere. Ihnen ist das Menschsein nicht als eine Apotheose versprochen. So sind Steinbecks Figuren notwendigerweise stets kauernde, dem Boden zugewandte. Schwer von Lasten und Sprache. Einsilbig. Aber wer noch ist unter den Schriftstellern wie Steinbeck bedacht auf die Lehmigkeit der Körper der Adamskinder?
   Bei der Lektüre allzu sehr auf den dummen Hund John Steinbeck zu schielen, der sich dieses Interesse auf die Fahne schrieb, ist dennoch ein arger Fehler. Wahrscheinlich ist er heute bereits so oft aus zweiter Hand zu kaufen, weil er zwar ähnlich mürrisch und unleidlich wie etwa Hemingway war, jedoch nicht dessen andere, charmanteren Züge mit ihm teilte. Die Kritik wiederum hassten ihn nicht zuletzt, weil er nicht ordentlich, in einem journalistisch- literaturkritischen Sinn, über seine Bücher sprach (er soll auch viel eher gemurmelt als gesprochen haben), weil er selbst wenig sprechend war und höchstens von sich reden machte, wenn er wieder jemanden im Vollrausch verprügelt oder mit seinem Messer bedroht hatte. Der literarische Mikrokosmos der Steinbecktexte dreht sich nicht um die Person John Steinbeck und eine Interpretation seiner Gesetzmäßigkeiten und Wirkungsweisen sollte den Autor weitestgehend beiseite lassen. Eine schreckliche Voraussetzung für gelehrige oder schwatzhafte Kritiken. Um seine Bücher zu verstehen gilt es also Steinbeck in seiner Kneipe mit seinen pathetischen Cowboystiefeln sitzen zu lassen. Nur eine Notiz von der Person kann für die Lektüre und das in den Texten zum Ausdruck kommende Menschenbild hilfreich sein. Als Farmkind aufgewachsen liebte er auf seine raue Art den Menschenschlag von dem er schrieb. Er hatte ihre Arbeit geteilt und seine Hände kannten sie gut, ebenso wie ihre Manie mit eben diesen schwieligen Händen zu denken. Daher das Schlagwort von den „heavy handed writing skills“.
   Ein ungewöhnlich interessanter Faden aus einer ansonsten vernachlässigbaren Biographie3, weil von der Beackerung des Landes eine Schreibweise ausgeht, die sowohl im Deutschen Wortschatz  als auch im Englischen kräftig ist, und ihren ehrwürdigsten, aber soweit mir bekannt, einzigen Vertreter wohl in dem Autor des „Ackermanns von Böhmen“ hat.

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 „Ein Ackermann werde ich genannt, vom Vogelkleid ist mein Pflug, ich wohne im Böhmerland.“4 Nicht vergessen, aber sträflich unbeachtet ist der Umstand, dass die Schriftsprache aufs engste mit dem Ackerbau einhergeht. Wir erinnern uns, die Schrift hat ihren Ursprung5 im fruchtbaren Halbmond Mesopotamiens und heute noch gehören Wörter des Ackerbaus zu den ausdrucksstärksten und  fruchtbarsten, die dem Deutschen zu Gebote stehen. Denn was wäre das Deutsche ohne das Feld, oder das Gut, ohne Grund, Gottesacker und Boden? Alles Worte die dem Acker entsprungen sind, die aus der bitteren Erde Ur gewaschen sind. 
Doch dies sind Spin-Offs der Übersetzung, Glückstreffer, die in anderen Sprachen ebenso gut alles ins Unverständige wenden könnten. Andererseits, um einem Gedanken Gertrude Steins zu folgen, wird die Weltliteratur ebenso sehr in der Druckerpresse, wie in jedem einzelnen Leser gemacht, und damit ist vielleicht die Verdeutschung, die sich in unserem Kopf bildet, gleichermaßen und gleichmächtiges reales Kunstwerk wie das englische Original. All das ist da, ist die Nachreife von englischen Trauben, in dem deutschen Fass.
In dem schrecklichen Unverständnis für eine Sprache, die ich aus den Wörterbüchern gelernt habe, hat die Weinlese mit meinem vom Deutsch stets trunkenen und verkaterten Kopf6 nicht viele englische Wörter gefunden, doch unter ihnen zwei ausnehmend schöne:
Labour, die Arbeit, die auch  den Augenblick vor der Geburt benennt, die Qual der Mutter, durch die das Kind zu Welt kommt. Heute sagt man im Englischen zumeist work, weil man sich von dieser schwangere Arbeit vertreiben hat. Labour ist keine Wertschöpfung im pekuniären Sinn und ist auch nicht, wie die deutsche Übersetzung, vom Physikalismus durchsetzt.
Mold, der Abdruck und zugleich die Form. Der Humus und der Schimmel, die Muttererde.
     Kurzum, eine andere Literatur ist hier zu behandeln, die es auf etwas anderes abgesehen hat, sich nicht emporschwingt7, sondern die gravitas der Erde ausloten will.
Aber was ist das nun für eine Erde, aus der sie gewachsen? Ein großes Problem bleibt, dass Steinbeck keinen Stil kultiviert, der sofort := Kunst anzeigt. Wirklich scheint dieser Stil auch nur bedingt zum Singen oder munterem Säuseln fähig zu sein. Aber er hat diese englische Sprache, die einzige in der Whitmans „Leaves of Grass“8 geschrieben werden konnte. Eine Sprache also, deren Füße zwar aus Lehm sind, gleichwohl ist sie aber nicht tönern- hohl. Keine lediglich getöpferte Sprache, die ihre eigenen Risse ausstellt, sondern eine die sich traut mit schütternden Schritten zu gehen. Die das Wummern der Erde zu ihrer eigentlichen Sujet und Abzubildendem macht. –Viel Bass, kaum Tenor.
Steinbeck hielt langatmige Sätze für Verschleißerscheinungen des Künstlers, für schlechtes Handwerk. Seine Sätze sollten ihre Masse konzentrieren. Massigkeit ist das zweite spezifische Merkmal neben der Wiederholung, d. h. der bereits erwähnten Einfarbigkeit. Es geschieht nicht viel und das wenige was passiert, kehrt immer wieder. Durch dieses Instrument der Wiederholung gelingt das oben beschriebene Einsinken in den Text. Welch ein merkwürdiger Umstand es doch ist, die Kunst Steinbecks liegt in der eigentlicheren Qualität seiner Schreiberei. Verweise und Deutungen sollen nicht auseinander gehen, sollen sich nicht ins Faserige spreizen, sondern sich in unendlich schweren Begriffen ballen.
All das hat viel mit dem Gospel und Blues zu tun, die ähnlichen Beschränkungen unterliegen, von einem ähnlichen Impetus getrieben werden und zudem mit dieser Literatur das Land und die Zeit teilen, von dem beide zehren. Der Körper, der Leib ist diesen lieber als die Poesie. Diese schwingt nur mit auf den Tönen der Prosa. Wenn alle Schreibkunst verzweifelt versucht dasjenige zu berühren, was von den Worten nie erfasst wird, so versucht Steinbeck ein andere Form von Berührung.
Der Druck ist in seinen Texten die Kraft, die uns als eins erhält. Sie verhindert, das wir in der ständigen Katastrophe einer Welt die immer in Flammen steht, -soll heißen: sich bewegt, verbrennt- ins Atomische bersten. Vico hat geschrieben, der Mensch sei nur dort Mensch, wo er grabe, also wo er pflügt und bestattet. Nur so kann die Gattung einig bestehen. Die nämliche Kraft fordert unseren Tod, doch ist dies keine Krankheit zum Tode. Der Druck fordert von den Menschen mold zu sein, weil sie ihr entstammen und zugleich lebendes Gedächtnis, Abdruck, Gussform, also Teil von ihr sind9.

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In seinem Vorwort zu Tortilla Flat schreibt Steinbeck, dass die in diesem Buch auftretenden Figuren völlig allegorisch seien, ihre Weise in einem Text zu existieren sei die einer Stellvertretung, sie alle bedeutenden den Wind und das Meer, aber niemals einfach nur Menschen. Das ist ganz klar Sarkasmus. Wie schön sich diese Geschichte für den Oberstufenschüler doch fügt, wie einfach es ist in Tortilla Flat die Geschichte der Artussage zu finden, doch wie wenig ist gesagt, wenn es heißt: „die Truppe lässt sich als Artus und seine Tafelritter interpretieren“. Solcherart Interpretationen sind die fadenscheinigsten, die hohlsten10. Daher der Sarkasmus. Hier geschieht jedoch etwas anderes. Im Sumo, einer der letzten Sportarten, die sich ihrer sakralen Konnotation noch erinnert, gibt es einen Augenblick, in dem etwas geschieht, das ähnlich funktioniert wie die gravitas. Die Ringer treten in einer Art stilisiertem Tanz in den Ring, ihre Kleidung, genau wie der Ring selbst unterliegt einem strengen Protokoll. Unter der Hallendecke hängt das Dach eines Tempels. Die Kontrahenten werfen Salz aus. Sie kämpfen und zeigen keine Emotionen, weder Freude noch Ärger. Schließlich reicht der Unparteiische, der zugleich ein Shintopriester ist, dem Gewinner einen kunstfertig gefalteten Umschlag, das Insignum seines Sieges. Er verbeugt sich, doch sein Dank gilt nicht den Geistern, in deren Machtbereich er sich noch befindet, er gilt den Sponsoren, die Geld in den Umschlag gelegt haben. Geld, mit dem der Sumoka sich mehr und besseres Essen kaufen kann, um noch fetter zu werden. Auf dem Klimax des Kultes die profanste aller Taten. Dort wo sich alles Mystische zum Apex windet thront der gewaltige Leib des Ringers. 
Das Metaphorische wird profanisiert, ist nicht mehr das Konstitutiv einer Sprache, die uns Komparatisten schon längst zur Schrift geworden ist. Eine ans Abrücken gewöhnte Kunst wird um das Opfer der Einsilbigkeit, sogar der Langeweile, auf den Boden zurückgeholt, wie es sich so schön sagen lässt. Das Drama braucht nur wenige Elemente, weil es allgegenwärtig ist, weil es verdichtet ist in den geringsten Wendungen des Lebens, die alle die gravitas in sich führen.
Zum Teufel mit der verdammten Metaphysik, den eigenen Körper zu lesen ist das Gebot der Stunde.

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In seinem frühen Lied The Promised Land führt Bruce Springsteen die Tradition des Blues weiter und fasst in Musik, was Steinbeck in Worte zu fassen versuchte. Als guter Amerikaner nimmt er das Wort von dem versprochenen Land wörtlich, mit allem, was darin zusammengeballt ist. Der Sänger der working- class, wohlgemerkt nicht labour, ist hier die römische plebs, jene Gruppe, die terrae filii heißt, Söhne der Erde. Recht verstanden bedeutete dies, dass sie rechtlos, weil vaterlos sind. Muss ich daran erinnern, dass Amerika das neue Rom ist?
Aber zum Glück hat Amerika Steinbeck und, vielleicht noch wichtiger, Bruce Springsteen.
    Schon immer östlich von Eden zu sein und doch an das versprochene Land zu glauben ist die Bürde die den vaterlosen in den Berserker verwandelt. So ergeht es Tom Joad in The Grapes of Wrath. Zu der im einem möglichen weiteren Schritt anknüpfenden Frage nach der Rolle von Frau und Mann in The Promised Land möchte ich nur sagen, dass den Amerikanern die Freudsche Behauptung die See sei unbewusstes Substitut der Mutter und der Frau völlig undenkbar vorkommen muss. Das mag vielleicht für Portugiesen gelten, doch Springsteen muss dem Vater seiner Angebeteten versichern: Mister, I ain`t a boy, no, I`m a man/ and I believe in a promised land. 
    In East of Eden ist es Caleb, der, wie der unredliche Ackermann Kain die biblische Schuld und den Glauben trägt. Auf ihn stürzt das Gewicht des Wisens um mold und gravitas ein. I was bruised an bettered,/ couldn`t tell what I felt/ I was unrecognizeable to myself, heißt es in einem andern Lied von Springsteen. Genau wie Bruce bruised ist mit dem eigenen Namen, vom der Gewalt seiner Entwurzelung blutiggeschlagen, ist Caleb der im eigenen Namen geschlagene, nicht weil er eine bloße Allegorie ist, sondern weil sein Leib moldless ist. (Und vielleicht auch, weil er kein Mädchen hat.)  Die ihm versprochenen Früchte sind nicht prall und glänzende, sondern matt und trocken, von der Farbe der Ähren. Er ist der underdog, der verbrennt, weil er one`s own ground nicht spürt. The dogs on main street howl/ `cause they understand, singt Springsteen, weil er selbst ein Hund ist. Ein ebenso dummer Hund wie Steinbeck.
Oft heißt es bei den Großen auf dem Parnass, wir hätten nur alte Wörter, die uns unverständliche Tempel sind. Steinbecks Menschen leben in diesen Tempeln.
Was könnte man von ihnen also treffender, erschütternder sagen, als „they are bound for the Promised Land“.
Sie sterben und sie sitzen auf dem Land, indem sie sich gänzlich in es hüllen. Sie müssen sich nicht um ihr Innerstes bekümmern, weil jede Bewegung hin zum Boden der vollkommenste Ausdruck ihrer Lebensweise11 ist. Weil sie trotz aller Widrigkeiten, trotz des Hungers und der Armut geborgen sind in den Ausdrücken, die ich behelfsweise mold und  gravitas genannt habe. 

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„Die »Würdigung« oder Apologie ist bestrebt, die revolutionären Momente des Geschichtsverlaufs zu überdecken. Ihr liegt die Herstellung einer Kontinuität am Herzen. Sie legt es nur auf diejenigen Elemente des Werks Gewicht, die schon in seine Nachwirkung eingegangen sind. Es entgehen ihr die Schroffen und Zacken, die demjenigen einen Halt bieten, der über dieses hinausgelangen will.“12

Ich habe bewusst, an diese Passage von Benjamin denkend, versucht das Politische außen vor  zu lassen. Dennoch bin ich nun zu einem Punkt gekommen an dem ich um Abrücken und Verständnis bitten muss. Hier handelt es sich um eine Lebensweise, die dem Literaturwissenschaftler aufgrund seiner Sozialisation fremd ist, die aber gerade wegen der an ihr verübten Vernachlässigung durch eine bestimmte Klientel unglaublich reich ist. Wir Komparatisten kennen den Hunger, den Acker und zumeist auch die Schwangerschaft nicht mehr, weil wir in der „modernen“ Texttradition des Bohemeschrifstellers leben, lesen und arbeiten. Wir können uns des doppelten Bodens, der unseren Sturz auffangen würde, noch gewiss sein. Es ist vielleicht gerade dieser einfache Umstand, dass uns diese andere Welt die allerfremdeste ist, der Steinbeck aus unserem Kanon aussperrt. 
Ähnlich wie es Benjamin in dem Zitat zur Apologie konstatierte reduziert sich eine solche im Namen Steinbecks schnell zu einer Würdigung des „proletarischen Literaten“.  Über dieses Klischee hinauszugelangen war mein Anliegen, weil ein „Proletarischer Literat“ genauso uninteressant für eine jegliche Literatur ist, wie jeder andere Literat. Des Weiteren ist es wohl ein Vorurteil einer heute versandeten intellektuellen Bewegung Steinbecks Literatur eine proletarische zu nennen. Von dem aus dieser bitteren Erde treibenden  „Schroffen“ lernt man in keiner K-Gruppe. Die Wichtigkeit Steinbecks abzuwägen heißt in diesem Fall im eigentlichen Sinn begründen und belegen. Gründe für Steinbeck werden nur „wahrhaftig“, indem die Schwere und Schwangerschaft seiner Texte anerkannt wird. Nur dies kann uns gewogen machen ihn zu lesen.




Anhang




I. Die Kräfte um deren Klärung die Physik sich müht könnten schematisch in etwa so dargestellt werden:

        Gravitation                               Elektro(-)magnetismus
                                                           Schwere und Leichte Kernkraft


II. gravitas, atis. lat.: 1. a.) Schwere, Gewicht, Last; / b.) Bedeutung, Größe (imperii); c.)  Kraft, Nachdruck; Würde, Erhabenheit (orationis); 2. (act.) a.) Schwere, Druck; Widrigkeit, Unannehmlichkeit (caeli); Ungesundheit (loci); b.) Härte, Strenge (legum) 3. (pass.) a.) Beschwertsein; Schwangerschaft; b.) Beschwerde, Mattigkeit, krankhafter Zustand (corporis); Schwermut (mentis)
[Langenscheidts Taschenwörterbuch. Lateinisch- Deutsch.]

III. ACKERTRAPPE, m. otis tarda, ein schwerfliegender, plumper vogel, dessen namen man gern auf die bauern anwandte…
[Grimmsches Wörterbuch, Band A- Biermolke.]



Anmerkungen

1 Die bei DTV erschienen Taschenbuchausgaben der gesamten Schriften in Einzelausgaben trifft schon im Einband diesen Farbton, wenn auch eine Übersetzung des englischen Tons in den Deutschen ein Ding des Unmöglichen ist. Der vielbefahrene Topos: „Never jugde a book by it`s Cover” wird hier wunderbar verkehrt aufgegriffen, denn auch der Einband eines Buches, kann seinen Inhalt wiedergeben, oder auf ihn vorbreiten. Wahrscheinlich ist es auch kein Zufall, dass eben dieser Verlag die Schriften Knut Hamsuns mit einem ähnlichen Rotton einband.
2 Proust der Schwan, Pessoa der Zaunkönig. Andere sind vielleicht Elstern, Lerchen, Pfauen, Raben. Steinbeck wäre die Trappe. Die schwerfällige Ackertrappe, die ihre Eier in einer Mulde im Boden ausbrütet. (Siehe auch Anhang III)
3 Literatur Nobelpreise sagen nichts über Bücher aus. Eher über Politik.
4 Johannes von Tepl, Der Ackermann, 3. Kapitel (Des Ackermanns Widerrede).
5 Wir erinnern uns auch, dass dieser „Ursprung“ um die alte Stadt Ur anzusiedeln ist. (Primo Levi hat dieser Präfixe viel Beachtung geschenkt, ebenso wie J. L. Borges.)
6 ... übrigens war Steinbeck ein großer Trinker, um nicht zu sagen, ein Alkoholiker.
7 Thomas M. Tammora zitiert in einem ansonsten recht langweiligen Aufsatz über Steinbecks „In Dubious Battle“ ein chinesisches Volkslied von 2500 v. Chr.
    „When the sun rises, I go to work.
     When the sun goes down, I take my rest.
     I dig my well, from which I drink.
     I farm the soil which yields my food.
     I share creation, kings can do no more.”
8
“Have you reckoned a thousand acres much? Have you
reckoned the earth much?
Have you practiced so long to learn to read?
Have you felt so proud to get at the meaning of poems?

Stop this day and night with me and you shall possess the
    Origin of all poems,
You shall possess the good of the earth and the sun…”
W. Whitman, Song of Myself, Zeile 21-26
9 Bei den Alten sind die chthonischen Götter, die Götter der Erde, auch die der Unterwelt und somit dem Tod zugehörig. Hier könnte ein Faden zum Ackermann aus Böhmen aufgegriffen werden.
10 Ich weiß wovon ich spreche, habe ich solcherlei Dünnpfiff doch selber schon verbrochen. Das Zitat des vorangegangenen Satzes ist eine Erinnerung an einen Aufsatz.
11 Mit dieser Bewegung wird auch die Schrift und Literatur angedeutet. Der Acker wird bestellt, wie auch auf dem Boden in den Staub geschrieben und geritzt wird.
12 Walter Benjamin, Zentralpark (3)


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