Der Film ist, als Projektion,
pro-iectio, nach
vorne geworfenes, stets ein Vorwurf in seinem wörtlichen
Sinne. Wenn hier von einem
wörtlichen
Sinn noch die Rede sein kann – denn die Frage nach der
Textualität des Films ist stets offen, wenn vom Film
die Rede ist.
Jean-Luc Godard, enfant prodige der Nouvelle Vague, der
seine Laufbahn als Kritiker beginnt, setzt mit seinem filmischen Werk
die Reflexion über Kino fort, die er in der schriftlichen Form
begonnen hat. Dass er Kritiken schrieb, wie andere Filme machen, ist
mittlerweile zum Allgemeinplatz geworden. Dass er später auch
Filme machte, wie andere Kritiken schreiben (sollten, aber nicht
können), ist der Umkehrschluss. Das gilt nicht erst
für sein Spätwerk, das hierzulande leider kaum
Beachtung findet. Schon in seinen Werken der 60er Jahre, von ihm selbst
später zu Unrecht in den Schatten gestellt, legt er
kinematografische Funktionsmuster offen.
Eine der großartigsten und auch lustigsten Szenen
dieser Schaffensperiode findet sich im Film „Une Femme est
une femme“ aus dem Jahr 1961. Jean-Claude Brialy und Anna
Karina spielen ein Paar, das sich eigentlich liebt, aber in dem Moment
aus dem Gleichgewicht gerät, als sie unbedingt ein Kind haben
will – und zwar augenblicklich –, er ihr die
Erfüllung dieses Wunschs aber hartnäckig verweigert.
Die beiden finden sich im Bett nebeneinander wieder, nachdem sie
verabredet haben, nicht mehr miteinander zu sprechen.
Diese Verabredung halten beide ein; dem Drang aber, dem
jeweils anderen ihren Zorn mitzuteilen, geben sie nach. Anna Karina
steht also auf, nimmt die Stehlampe, geht zum Bücherregal,
holt ein Buch hervor, geht zum Bett zurück, deckt einen Teil
des Umschlags ab. Schnitt: Der freigestellte Schriftzug
„Monstre“ in Großaufnahme. Er wird
Jean-Claude Brialy gezeigt, und damit auch uns.
Ein Vorwurf wird gemacht. Das heißt: Er wird
gezeigt. Karina und Brialy wollten die Krise ihrer Beziehung durch den
Abbruch der sprachlichen Verständigung dokumentieren. Und doch
sind sie noch im gleichen Rahmen zu sehen. Der Bildkader
schließt die beiden Elemente, die sich heterogen wollen,
zusammen: „Une histoire de bêtes“ wird
Serge Daney in Anspielung auf Bazins „Montage
Interdit“ diese Situation nennen. Anna Karina will dieser
Einsperrung entgehen. Zuerst dadurch, dass sie das Licht
löscht. Man sieht nur einen schwarzen Bildschirm, das
Verhältnis der beiden ist suspendiert. Das Licht geht erst
wieder an, als Karina den gemeinsamen Bildkader zu verlassen ansetzt.
Sie kehrt zurück, um ihre Abtrennung weiter zu demonstrieren.
Anna Glazova schreibt in diesem Heft über den Vorwurf bei
Musil (und in der erzählenden Literatur im weiteren Sinne):
„Derjenige, der vorwirft, droht dem Anderen mit der
Vereinzelung, indem er sich als unabhängig vom Anderen
erklärt.“ Genau dies versucht Karina, indem sie
Brialy das Cover entgegenhält. Sie verlässt
zunächst die Kommunikationsebene der gesprochenen Sprache. Sie
sagt es nicht, sie zeigt es; im Film freilich ändert das an
der Struktur des Vorwurfes nichts. Sprache, auch wenn sie nicht
gesprochen wird, bleibt immer noch Sprache, Bildsprache, wenn man so
will. Auch wenn Anna Karina, so könnte man es vielleicht
sagen, die Falle des Vorwurfes, der stets im Trennen vereint, mit den
Mitteln des Kinos zu umgehen versucht, so geht sie doch in die andere
Falle, die des filmischen Vorwurfs.
„Der Vorwurf erzeugt eine Spaltung, die nur
solange eine Spaltung bleibt, wie sie die Gemeinsamkeit
erhält“, schreibt Anna Glazova weiter. Der
Vorwurfscharakter des Films (des montierten zumindest, und damit
eigentlich des gesamten Erzählkinos) wird hier sichtbar. Die
Einstellung auf das Cover „Monstre“ trennt die
beiden Figuren und vereint sie doch wieder, denn eine Einstellung,
darauf hat Deleuze hingewiesen, ist immer ein „changement du
tout“, sie trennt das, was vorher kommt und das, was ihr
folgt und ist doch notwendiger Teil des Gesamten, die das Zeitkontinuum
des Films überhaupt erst entstehen lässt, der, so
Deleuze, „la conversion perpetuelle“
bewerkstelligt. Jede Einstellung ist der Vorwurf der vorhergehenden an
die kommende könnte man vielleicht sagen. Projekt, Idee,
utopisches Moment auf der einen Seite, da sie eine Zeit schafft, die
noch realisiert werden muss. „Reproach“,
Anschuldigung, weil sie zwei Dinge voneinander trennt, die doch
eigentlich zusammengehören (und in „Une femme est
une femme“, wie sich das für eine Komödie
gehört, schließlich auch zusammenfinden).