Freundlich
angesprochen und gebeten, über den Gruß zu
schreiben. Wir würden es
begrüßen… Fühle ich mich
angesprochen und aufgefordert, der Bitte als einem
Höflichkeitserweis, einer Ergebenheitsadresse, einer
Herausforderung nachzukommen, zu entsprechen? Die knienden Boten vom
Boden aufzustehen heißen? Mich der Botschaft zu unterwerfen
und Gehorsam zu leisten? Oder Widerstand –: und abzulehnen?
Die Bitte, über den Gruß zu schreiben, –
grußlos – passieren zu lassen? Ein Bote taucht auf,
aus heiterm Himmel, ein Brief – der Brief als Gruß
–, ein Vorschlag wird unterbreitet, ihn anzunehmen oder
auszuschlagen bleibt dem Angesprochenen überlassen. Was
voraussetzt, daß ich als
Angesprochenen mich begrüßt,
mich (den Grüßenden) mir (dem
Begrüßten), mich (den Begrüßten)
mir (dem Grüßenden), mit einem Wort mich mir
– den Namen,
den ich trage, wie dem
Namen, den ich trage, wie im Namen, den ich
trage – überliefert, unterworfen,
überlassen habe; die Botschaft als Botschaft, als an mich gerichtet
und mich als den Empfänger der Botschaft betrachte. Ein
Kästchen aus Worten, eine Geste, ein Gast, auf der Schwelle
meiner Augen. Ich kann mich bücken, den Gast willkommen
heißen, der Geste willfahren, das Kästchen
öffnen, die Augen. Alles hängt, scheint es, von mir
ab. Und dennoch bin ich – aber bin ich es? – schon
in Anspruch genommen, der Bitte unterworfen, die vor- und vorausgeht. Aberdennoch:
zwischen allen Erwägungen bleibt offen, ob überhaupt
und wo genau – in mir, beim Namen aufgerufen – die
Bitte als
Bitte, über den Gruß zu schreiben, wahrgenommen und begrüßt
wird. Gleichgültig, ob der Gruß Willkomm oder
Abschied entbietet, das Willkommen verabschiedet, oder den Abschied
willkommen heißt.
Verwicklung: die Bitte um einen Beitrag zum Gruß ist
schon als Gruß, als eine Grußadresse, jedes Wort
vom Gruß tangiert, verfaßt. Wir
grüßen Sie, erinnern Sie sich noch? Und
würden es begrüßen, wenn Sie der Bitte um
einen Beitrag über den Gruß nachkämen. Mit
freundlichen Grüßen… Was, wenn ich die
Bitte ausschlage, nicht ohne meinerseits freundlich zu
grüßen? Aber was heißt Grüßen?
Es scheint, die kleine Szene – ein Brief, den ein
Gruß eröffnet, dessen Mitte die Bitte, über
den Gruß zu schreiben, bildet, der über
Grüßen schließt – wird
heimgesucht von Gesten, mehr und weniger verkapselt, die ausgehend vom Gruß, im
Hinblick auf den Gruß,
den Gruß in Dienst zu nehmen oder auf Distanz zu halten,
aufgeboten worden sind.
Aus dem althochdeutschen grouzen
wie aus dem mittelhochdeutschen gruëzen
und Gruoz
tauchen, „ohne jeden freundlichen beisinn“, wie es
im Deutschen
Wörterbuch [1935] heißt, Gruß und Grüßen
„meist als feindliches entgegenkommen, angriff, anfechtung,
anklage“ auf. Der grüßende Anruf ist eine Aufforderung zum Kampf,
Gruß auf Leben und Tod. Die andere Bedeutung des
Grüßens, fast spiegelverkehrt dem feindlichen
Gruß entboten, verzeichnet das Deutsche Wörterbuch
so: „grusz
als freundliches entgegenkommen ohne den feindlichen
beisinn“. Die zweimal ohne jeden Beisinn, einsinnig,
abgesetzt voneinander, eindeutig ausgerichtet eingeführten,
einander – genau aus diesem Grund – zum Verwechseln
ähnlichen Bedeutungen des Grüßens, die
feindliche und freundliche zu scheiden, und Freund und Feind im
Gruß erkennen, wiedererkennen und anerkennen zu
können, den Feind als
Feind, den Freund als
Freund, gehen für den Beiträger des Artikels Grusz im Deutschen Wörterbuch
so ineinander über, daß der Entscheid über
die Ausrichtung des Grüßens überhaupt
verloren geht. Im Anschluß an den zunächst
eingeführten, älteren, feindlichen Gruß,
der die einander Begegnenden als Gegner wahrzunehmen sucht, in
Freundschaft mit dem Feindbild zu leben, heißt es:
„bei den jüngeren belegen ist es unsicher, ob die
alte bedeutung erhalten, literarisch wieder aufgenommen oder ironisch
aus der positiv-freundlichen bedeutung gewonnen ist“. Im
Gruß überwiegt nicht einmal der feindliche, ein
andermal der freundliche Sinn, und spielen nicht einfach der
freundliche und feindliche Beisinn ineinander; der Gruß
zögert nicht nur zwischen Unterwerfung (unter die Erwartung
des andern) und Unterwerfung (des andern), sondern im Gruß
setzen beide Grußadressen,
sich – den Grüßenden – wie den
andern – den Begrüßten – als Freund oder
Feind zu erkennen zu geben und erkannt zu haben, aus. Unkenntlichkeit
des Grußes… Aus dem Gruß, in dem beide
Deutungsansätze, die Freundlichkeit oder Feindlichkeit des
Grüßenden wie des Begrüßten
stützen sollen, aussetzen, kehrt die verschollene Erinnerung
an die Unausrichtbarkeit des Rufs als Anruf wieder.
Erinnerung an eine Trost- und Sorglosigkeit, die im Ruf – auf
der Schwelle zu verstummen, auf der Schwelle zum Gesang –
spielt, und die im semantischen Grundriß des Grüßens,
den die Wörterbücher verzeichnen, die Bedeutung des Klagens und Weinens annimmt:
„grüszen,
germ. *grotjan
ist causativbildung zu got. Gretan,
an. gráta
[…] ags. grætan weinen.
[…] afr. greta
grüszen, klagen […]“. Der Gruß
ist Abschiedsgruß. Was in ihm Abschied nimmt, ist nicht der
Gruß und nicht der Grüßende, sondern im
Abschiednehmen – ein Nehmen, das im Horchen auf den Ruf
anbricht – wird der Gruß vom Gruß, der
zustandekommende von sich, der Grüßende vom
Grüßenden geschieden. Das grüßende
– klagende, weinende – Sagen des Rufs horcht im Ruf
– vom Willen zum zustandekommenden bewegt – auf das
passagere Ineinander
vom Willkomm und Abschied. Deshalb die Schwierigkeit, den
Gruß „als allgemeine
höflichkeitsbezeugung“ zu verorten, zu verantworten
und im Wort dingfest zu machen. Das Deutsche Wörterbuch
sieht den Gruß „beim zusammenkommen,
vorübergehen, abschied“, also allenthalben (und
also nirgendwo ganz) vorkommen. Daß der Gruß sowohl
am und als Anfang wie am und als Ende einer (flüchtigen oder
vereinbarten) Begegnung, wie im Vorübergehen
vorkommen kann, deutet an, daß der Gruß weder
Anfang noch Ende, kein Woher und Wohin, sein Wo nicht kennt. Der
Gruß ist weder da noch fort, sondern öffnet im
Hören auf den Ruf als Gruß die Pforte der
Unterbrechung des Willens, fort oder da zu sein, aufzubrechen oder
anzukommen.
Was im Augenblick des Grüßens dem Gruß
unterworfen werden soll, ist der Gruß: weniger um das
feindliche oder freundliche Entgegenkommen des
Grüßenden zu signalisieren, und nicht, um im
Begrüßten Freund- oder Feindlichkeit zu provozieren,
sondern um den Gruß begrüßt und
festgestellt, als freundlichen oder feindlichen Gruß
ausgewiesen, eingemeindet, das Grüßen selbst entdeckt zu
haben. Der Ruf aber entgeht beiden, trennt beider Umriß
– des Freundes, des Feindes, von Leben und Tod – im
Augenblick ihres Zustandekommens auf. Der feindselige Gruß,
„ohne jeden freundlichen beisinn“, sucht, als
Gruß auf Leben und Tod, im Begrüßten den
Widerwillen gegen die Unausrichtbarkeit und Uneindeutbarkeit des
grüßenden Rufs verkörpert zu sehen
– und zu unterwerfen, abzuschlachten, auszumerzen. Aus dem
Gruß „als allgemeine
höflichkeitsbezeugung“ kehrt die aus Verzweiflung
stammende Todeslust – Tötungslust
– des Grüßenden, kehrt die Todesangst des
Begrüßten, zur Unkenntlichkeit verharmlost, wieder.
Das Ausufernde im Hören, im zerstreuten streunenden
Hören auf den grüßenden Ruf. Die Waage im
Gruß, im Lauschen auf den grüßenden Ruf.
Eine Radierung Paul Klees, 1903, hält diese
eigentümliche Balance, das Wagnis des Horchens (auf den Ruf)
im Augenblick des Grüßens fest. Zwei Männer
in gebückter Haltung, nackt, Hunden ähnlich, bevor
sie einander beschnuppern, in einer Steinlandschaft, im Karst. Die
Körper der Gebückten gleichen der Landschaft, als
gingen die belebten in Versteinerungen über, und die
versteinerten in Grus. Die Rücken bilden Hügelketten,
die zur Bildmitte (wo die Gesichter begegnen) einen Schacht, eine
Schlucht, einen Abgrund öffnen. Das Spiel der Arme und
Hände, fast spiegelsymmetrisch, Aug in Auge, als betrachteten
sie einander im Spiegel (Zweifel nährend, ob nicht das andere
Gesicht ein Spiegelbild nur spielt), im Gesicht des andern Auskunft
über sich, die eigene Stellung, den eigenen Stand und Standort
zu erhalten, sich selbst
zu begegnen.
Witterndes Äugen. Die rechte Hand des linken Mannes gegen sich
gekehrt: bist Du (wie) ich? Die linke des rechten gegen sich: bin ich
(wie) Du? Der gewinkelte linke Arm des linken Mannes, der gewinkelte
rechte des rechten: zwei Klang-, Waagschalen, das Horchen in die
Stille, aus der Stille, zu ermessen. Beide Männer, dort, wo
sie einander zunächst, nur durch einen Abgrund getrennt, sind,
scheinen nicht nur im Zweifel über gespieltes Bild und
Spiegelbild, zwischen Betrachtetem und Betrachtendem zu verhoffen,
sondern in die Betrachtung des andern, wie in eine Radierung, auf Zink
geätzt, versunken.
Rissiges Begegnen: als steckten beide unter einer Decke, einem Dritten,
dem Betrachter der Radierung, gegenüber, nah, über
das Blatt gebeugt. Wie grüßt
der Dritte die Radierung? Wie begegnet er den einander Begegnenden? Wie
sich, im
Anblick der zwei Männer? Sind seine Augen dem Anblick des
Bildes unterworfen oder will der Betrachter, in Kants Worten,
„das Objekt seinen eignen Augen unterwerfen“?
Paul Klee hat der Radierung eine Legende eingeritzt, deren
Schriftzüge am rechten Blattrand vertikal, von unten nach oben
verlaufen: „Zwei Männer, einander in
höherer Stellung vermutend, begegnen sich“. Das
Objekt vor Augen: die Darstellung zweier in Ungewißheit
über den Rang des anderen wie über das, was die eignen Augen sehn und zu erkennen geben, wie im Begriff, den andern, sich dem anderen zu
unterwerfen, gebückt Innehaltenden. Ironie der Reflexion:
begegnen die zwei Männer, indem sie einander begegnen, im Zweifel über die Freundschaft zum Feindseligkeitsrecht
gekrümmt, sich?
Auf der Schwelle zur Reflexion über Unterwerfung, mit einem andern Wort: Subjektivierung.
ich unterwerfe mich Dir (um Dich einst zu überwinden)? Ich
unterwerfe Dich mir (ein für alle Male)?
Erhält der Betrachter, indem er das Blatt wendet, um 90˚ nach
rechts dreht, und die Legende zu lesen anfängt,
Aufschluß über die höhere Stellung (des
linken Mannes)? Rückt der Betrachter des Blattes dergestalt in
den Rang dessen, der die höchste Stellung bekleidet, auf? Zwei
Nackte vor Augen? Von Gnaden des Zeichners? Und geht die Stellung des
oberen (wie des unteren), so gesehen, nicht in einen Sturz
über? Oder gibt, in Wahrheit, die Gravur am linken oberen
Bild, wenn das Blatt weiterhin wie eine Karte im Spiel gehalten wird,
Aufschluß über die Herrschaftsverhältnisse
auf dem ganzen Blatt? P.K.
Zwei Lettern, kapital, einander denkbar nah, die den Namen des
Zeichners, Paul Klee, verkapseln. Doch auch das Letternpaar wird durch
Intervention eines Dritten auf dem Sprung, den verbindlichen
Zusammenschluß mit sich, des Zeichners in seinen beiden
Namen, Paul und Klee, zu vollziehen, seinen Namen aufzurufen und zu
grüßen, sich im aufgerufenen
begrüßten wiederzuerkennen, aufgehalten: zwischen P. und K.
sprießt Klee,
ein dreiblättriges Kleeblatt. Oder täuschen die Augen
des Betrachters, den Betrachter? Ist das Blatt gezinkt? Gibt das
Kleeblatt am linken oberen Rand des Blatts, immer noch wie eine
Spielkarte gehalten, Auskunft über die wahre Bedeutung des
Blattes? Präzisiert die Dazwischenkunft der Blume die
verwinkelten Kapitälchen P
und K zu
Anfang und Ende des Wortes Pik?
Pk? Begegnen in
den beiden Männern Paul und Klee – links der Sohn,
dem Vater des Zeichners, rechterhand –? Oder im
Erscheinungsbild beider Männer, kaum entstellt, zwei Lettern, P und K, einander? Ist
die freundliche Blume – Klee zwischen Steinen –
feindliche Waffe? Sind die zwei Nackten, am Rand eines
Kriegsschauplatzes, wüst, aller Kleider und Insignien, aller
Namen ledig, ohne Sprache, gewesene Landsknechte? Haben die beiden, von
der Pike auf im Dienst des Namens, den Namen als eigenen oder
eigentlich fremden, als freundlichen oder feindlichen Namen zu grüßen,
den begrüßten sich zu unterwerfen, dem
begrüßten sich zu unterwerfen, den Namen zum
Eigennamen auszuzeichnen, den eigenen in Dienst zu nehmen oder in den
Dienst des eigenen zu treten, ihn zu tragen –; haben beide,
im Horchen auf den Klang und Nachklang, den Glauben an die
Möglichkeit, den Namen – Klee –,
unheimgesucht von Worten – Klee, Pik, Pike, Pique, Schippe,
Lanze, Stichel, Griffel … –
anzunehmen oder abzulehnen, abgelegt? Krümmen ihre
Rücken sich unter der Last der Verantwortung, unter der
Unmöglichkeit, den Namen von seiner Auslegung als Wort
freizuhalten? Den untragbaren, die Untragbarkeit des Namens, zu tragen?
Begegnen hier zwei Buben, Damen (gleicht nicht der rechte Mann, der
bärtige – perückte –, in Haltung
und Gebärden einer Frau, verdeckt sie nicht mit ihrem linken
Arm die linke Brust), Könige, zwei Kaiser – in neuen
Kleidern –, sich?
Einander?
Oder anders?
Zeichnet die Lanzenspitze den Träger des Namens Klee als einen
Kupferstecher aus? Die Geburt des Zeichners
aus dem Verlust des Glaubens an die Gegebenheit des Eigennamens und an
die Möglichkeit, im Namen dieses Namens ungezinkt zu
grüßen? Ungezinkt zu unterzeichnen?