Fußnote

von Achim Stanislawski


Meine Verzweifelung schreit. Sie schreit: Dich gibt es gar nicht. Du kannst das schwere Deutsch nicht.
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Diese Sätze liest Rainald Goetz  am 25. Juni 1983 in Klagenfurt, kurz bevor er sich die Stirn mit einer Rasierklinge aufschlitzt und sein Blut auf das Manuskript für den Ingeborg Bachmann Preis tropfen lässt. Was ist aus dieser Veranstaltung geworden, in der etwas so wunderbares passieren konnte? Goetz hatte die Wut und Verzweifelung, um sich die Furt zur Klage zu suchen, die ihn nicht sicheren Fußes über den Strom, sondern in einen Skandal hineinführte. Dabei muss man sich fragen, angesichts der bundesweit übertragenen Lesung, wer hat noch den Mut einzugestehen: Du kannst das schwere Deutsch nicht. Denn es ist sowenig hinwegdiskutierbar wie Ernst Jüngers berühmtes Maschinengewehr, dass in diesem unsäglichen Klagenfurt die allerschlimmsten Texte im schrecklichsten Deutsch vorgelesen werden. Goetz konnte das schwere Deutsch nicht – nein, konnte er wirklich nicht –, doch er hatte zumindest Leidenschaft.
Es ist ja wirklich zum verzweifeln, diese Laffheit in dieser Literatur, diese Leidlosigkeit, in der widerlichen Ingeborgbachmannpreisvorlesetextliteratur. Das hat die Bachmann nicht verdient und keiner, der Hören oder Lesen kann. Dabei braucht es doch Unbedingtheit. Literatur ohne Unbedingtheit ist Schrott und genauso tot wie das Fernsehen, das diese Vorlesungen überträgt. Wenn es wehtut, wenn es unbedingt sein muss, wenn man nicht ohne kann, dann ist es Literatur; alles andere ist bloß Dreck. Über die popliterarische Schreibe Goetz` lässt sich selbstverständlich streiten, doch zumindest lässt sich über sie streiten. Nicht von selbst versteht es sich, ob das eine gute oder eine schlechte Art war, etwas Schlimmes zum Ausdruck zu bringen. Auch wenn sich Unverständnis bei dem einen oder anderen einstellen sollte – denn fabelhaft ist das Goetzdeutsch nicht, oft ist es auch einfach nur schlimm. Trotzdem wiegt dieser eine Satz das unverständliche Gebrabbel des Restes von „Subito“, so der Titel des Textes, bei Weitem wieder auf. Und ist es nicht konsequent von ihm, dieser Offenbarung an Wut und Unbedingtheit eine Tirade gegen alle an Klagenfurt Beteiligten folgen zu lassen? Da kommt noch was, nämlich zum Ausdruck: „Dich gibt es gar nicht Goetz, aber du hast mir aus dem Herzen gesprochen mit diesem einen Satz.“ Das schwere Deutsch nicht zu können, ist keine Schande, sondern die größte Chance für die Literatur, wenn man sich mit Ausdruckswut an sie macht. Ein Literat muss ein guter Boxer sein, weil die Sprache einem immerzu alles abverlangt. Soll er doch scheitern, der überdrehte Goetz mit seinen Ravetexten, denn scheitern musste er unweigerlich, solange er nur einen guten Kampf liefert. Soll er sich doch eine blutige Nase holen, zumindest haben wir Blut gesehen! Und das Aufbäumen eines Dichters, wie ihn sich Michael Lentz in seinem Kommentar zur aktuellen Poesie wieder herbeiwünscht, ein wahres „Arschloch der Jahrtausendwende“. Schon das Anmachen ist ja ein Teilerfolg und warum nicht auch einmal etwas fast schon Zeitgenössisches lesen, wenn es nur ordentlich brennt. Eine Sprache auf den Gipfel zu treiben, vielleicht auch nur, um sie von dort aus in den Abgrund zu stürzen, ist doch die alte und nie veraltete Lohe, um deretwillen sich das Kämpfen lohnt. Und nicht zuletzt das Zuhören. Deshalb gilt der Gruß dieser Fußnote, stellvertretend für ein Grußwort, denen, die nicht ohne die Literatur können, weil es so garstig und schön brennt. Und der Gruß sagt: Nur Mut, das schwere Deutsch nicht zu können, ist der Einsatz und die Zulassung für diesen Kampf, denn es steht zur Abwechselung einmal viel, allzu viel auf dem Spiel, because the only people for me are the mad ones, the ones who are mad to live, mad to talk, mad to be saved, desirous of everything at the same time, the ones who never yawn or say a commonplace thing, but burn, burn, burn, burn like fabulous yellow roman candles exploding like spiders across the stars and in the middle you see the blue centerlight pop and everybody goes: Awww! (Jack Kerouac, On the Road).