Spes

von Achim Stanislawski


Peter Bruegel der Ältere, Die sieben Tugenden, Hoffnung

FischKorb

Ein Stich von Pieter Bruegel zeigt unter den Sieben Tugenden, entgegen den Sieben Todsünden, die Allegorie der Hoffnung, lat. spes.
Als eine der eigentlichen, d.h. verstandslosen Tugenden ist die Hoffnung mit dem Glauben und der Liebe selbdritt eine der Tugenden, die das Mittelalter im Geiste gegen die Versuchung des Teufels und die Qualen der Hölle, deren Schatten schon ins Diesseits fallen, aufbringt. Nicht die, sondern eine Allegorie hat der Künstler geschaffen, deren lauteste Aussage vielleicht der Ort ihrer Nennung ist. Wo das Mittelalter die Kirchenwände mit Weltgerichtsszenen und Allegoriendefilees auf Goldgrund schmückte, setzt der  Niederländer die spes in einen die Welt vorstellenden Hintergrund, in den Rahmen des Diesseits. Der Mann aus dem meerunter liegenden Land malt die Umrisse der Tugend nicht auf den unfasslichen Hintergrund des Himmelreichs, der goldenen Wand der Verklärung, sondern in die Welt der disparaten Qualen hinein. Nur gegen dies, nicht gegen das Jenseitige, kann sie sich abzeichnen. Das Meer ist hier die sea of trouble oder die troubled Waters (Shakespeare & Simon & Garfunkel). Eine andere Unterwelt, die den Stammbaum abbricht. Im grundlosen Meer ist der Tod sinnlos. Das Meer bricht die Gesetze, bricht alles mühsam aufgestellte entzwei. Schon drängt es das Land zurück, schon scheint die Mole überflutet. Das niedrige Land droht zu überfluten. So war die Parole der Seefahrer auch stets: Land gewinnen! Man wagt sich nur ins Schiff um schnell Land zu gewinnen, denn es heißt zu Recht: „…und das Meer gibt keinen von uns zurück“(Alberts). In jenem Abgrund zu versinken, den auch die Dichter der Nekiya, unter ihnen ist Hans Alberts vielleicht nicht gar der allerletzte, nicht gesehen haben, scheint das schlimmste aller vorstellbaren Schicksale zu sein.
Bruegel macht sich von Bosch hierin los und versetz die Hölle auf die Erde, oder an die Erde, um seiner Schreckensvision jene Gewalt zu geben, die in Form des Walfischs sich undenkbar massiert auf die Schiffe wirft – and no coffin and no hearse can be mine (Melville). Als Fisch ist der Wal noch das Grauen, das sich an den Körpern der Toten labt. Er ist das zweite Land –and yee will smell land, where there will be no land– das kalte, in das der des Grundes abhanden gekommene Mensch eingeht: Der Fisch der die kleineren frisst; die See verschlingt die vor ihrem Gesetz hilflosen . Das Zeichen der Urchristen, der Fisch in dessen griechischem Namen die Formel „Jesus Christus, Gottes Sohn, Retter seiner selbst“ eingezeichnet ist, wird den protestantischen Küstenbewohnern zum Zeichen des Mangel und der Sühne. Der Fisch ist auch hier die Speise der Armen, -siehe dazu auch „Die magere Küche“, ein Stich Bruegels, in dem kein rotes Fleisch sondern Muscheln und Fische auf den ärmlichen Tisch kommen- zugleich aber der Wohlstand des Landes. Denn die Niederländer leben vom Handel und den Heringsschwärmen, die vor ihrer Küste vorbeiziehen. Die gegenüber den katholischen Ländern kürzere Fastenzeit, in der nur das Fleisch von Fischen gegessen werden darf, und die Erfindung des Räucherfasses, machen das kleine Land zur Wirtschaftsmacht. Nur die Armen essen Fisch, das Instrument des Wohlstands und der Erlösung, und rufen damit zu einer anderen Lesung des Fisches auf. Der Fisch sagt: „Er hat sich gerettet“, uns hat er in diesem Leben auf dieser Scholle, auf der die Hoffung nicht wächst, zurückgelassen. Ein Meer von Qualen verschluckt uns und es ist keine Hoffung mehr in den Herzen.
Wir sind ins Netz gegangen, schwimmen hilflos im FischKorb. Wir verhungern, so dichtet und singt es Tom Waits, in the belly of a whale.


BienenKorb

es harrt die reichste Hoffnungsgarbe
dem Schnittertag der besseren Welt

Der Rhetor und Kirchenvater Ambrosius war ein Fürsprecher der allegorischen Auslegung und Säer von Hoffnung. Die Schrift erklärt sich eben nicht selber. Was geschrieben steht, bedarf der Auslegung. Das einmal Geschriebene ist schon die Tatsache. Doch zu welcher Tat rät diese Sache, wie konnte/könnte sie getan werden? Diese Fragen richten sich gegen die Sache ebenso, wie gegen die Tat. Es bedarf einer weiteren Tat um die Sache offenzulegen für die Saat der Hoffnung und für die Sachen, von denen sie sich weg- und hinrichten, sie offen-, und genauso, zu- legen. Dies ist das Sprechen über die Schrift, immer vom Abrutschen in Aporien und Kitsch bedrohtes Sprechen, das auslegende, offenlegende Sprechen. Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch (Hölderlin, Patmos). Als ein Schwarm von Worten konvertierte einst die Rede des Ambrosius Augustinus. Von Ambrosius heißt es in der Legende, ein Schwarm Bienen habe sich, als er noch ein kleiner Junge war, in seinen Mund gesetzt und dort genistet. Seine Stimme ist dieser Schwarm von Bienen und ihr Ertrag der süße Honig, die Hoffnung. Worte können von Hoffnung tropfend sein, doch kann man Worte nicht zeichnen und von der Hoffnung kein Bild machen, es sei denn in Form der Allegorie. Deshalb überhäuft Bruegel seine spes mit Symbolen. Unter seinen Stich graviert er die Worte: Die Überzeugung, welche uns die Hoffnung gibt, ist äußerst süß und vor allem notwendig für das Leben, das wir unter so zahlreichen und fast unerträglichen Qualen zubringen müssen. Allegorie der Hoffnung ist der Ertrag der Überredung, der Rhetorik einer Sprache, die die Möglichkeit zur Allegorie, zur Bildlichkeit der Worte, erst schaffen musste.

Dem Wort, welches so unfasslich ist, ist ein Bild eingeschrieben. Der bildende Künstler muss ihm zur Bildwerdung verhelfen. Dafür benötigt er die Kraft der Tat und der Sachen. Denn die Tatsachen tragen in sich nicht nur ihre Möglichkeit zum Bild, sondern auch etwas Opakes an der Oberfläche. An ihrer Struktur und ihrem Gewicht, dem Aggregat ihres Materials; das ist: ihrer Wärme. Zur Überzeugung muss dieses Zeug herangezogen werden. Anker, Sichel und Spaten weisen die Allegorie der Hoffnung aus, durch ihren Symbolgehalt, der die Erinnerung an den Anteil der Tat an der Sache an sich trägt. Da ist das Kunststück gelungen, und das Bild, die sich einen Körper ersehnende Fläche, ist dem Körper sehr nah gekommen. Nicht dem eigenen, denn sie ist immer noch Fläche, sondern unserem und dem Bruegels.
Dem Überzeugten - mir, vielleicht nur mir-  scheint es, als könne er ein wenig von der Hoffnung an diesem Zeug spüren (Hoffnungsgarbe, Schnittertag), das ihr nur Gehilfe ist und im Grunde nur ein weiterer Weg ist, ihre partielle Abwesenheit zu bezeugen. Denn abwesend muss die Hoffnung sein, auch wenn ihre Süße in den Worten des Rhetors und der Beschaffenheit der Sachen (dazu gehören auch die Worte) zu schmecken ist. Hoffnung ist eben nur Hoffnung auf etwas zu und nie Ankunft. Da gibt es viele Wege zu beschreiten, die sowohl wegführen, als auch Erinnerungen evozieren. Auch die Symbole sind Wege und keinesfalls bloße Attribute, deren Anspruch überhört werden könnte. Die Allegorie ist vielleicht, aus exegetischen Gründen, dem Wort näher, über das die Tugenden verhandelt werden, doch das Symbol, in seiner wunderbaren Sinnlichkeit, das so oft ohne die Sachlichkeit nicht sein kann, greift keinesfalls kürzer. Man kann auch mit der Hand hoffen! Der Palme, das Attribut der Göttlichkeit, und als solches ein Zeichen der Hoffnung und der sicheren Ankunft des Erhofften, entwächst nicht umsonst auch da Wort für die Handfläche.
Die Worte wiederum sind wie die Bienen, die nicht da sind, auf dem Stich nicht eingekerbt sind. Ein Imker berührt sie vielleicht auch, doch fasst er sie nicht an, sondern lässt sie nur auf ihm Platz nehmen. In seinem Bienenkorb ruht der Schwarm, weil es sich um eine Verbildlichung handelt. Ihr Summen bleibt eine Ahnung, der Bienenkorb jedoch stellt ihren Körper dar. Der Körper eines Schwarmes, das Symbol, für den diffusen Wörterschwarm, der diese Wolke aus Worten behaust. Vom Menschen geflochten, um an den Honig heran zu kommen. Ständig vom Stich bedroht, machte der Imker den Kerbtieren ein Haus, das ihr Abdomen erinnert, den Teil des Körpers, wo im Sozialmagen der Honig gesammelt und durch die Interaktion der Bienen, durch die Weitergabe von Mund zu Mund, zur Nahrung verdaut wird.
Dieser zweite Korb ist die Hülle der Worte, die einen Schwarm bilden, aus vielen Körpern, deren Organe erst in der Interaktion den Honig produzieren können. Man kann hoffen, wenn das Tier, das man nicht anfassen kann, dennoch den Honig der Hoffnung gibt, das heißt, wenn man Hölderlin liest, Waits hört oder Bruegels Stich sieht.


BrustKorb

In Goethes Prometheusfragment tritt Pandora die Gegenfigur der spes auf. Sie ist der Liebesautomat, der die Hoffnung unter Verschluss hält in ihrer Büchse. In dem Moment der Öffnung der Büchse lässt Goethe ihr alles Glück und Unglück entströmen, und belegt sie mit dem Bann der Hoffnungslosigkeit. Epimetheus, der dem Geheimnis nicht widerstand, sagt:
„Da blickt` ich auf, und auf der Wolke schwebten schön/ Im Gaukeln lieblich Götterbilder, buntgedrängt:/ Pandora zeigt` und nannte mir die Schwebenden:/ Dort siehst du, sprach sie, glänzt Liebesglück empor!/ Wie? rief ich, droben schwebt es?“ (Zeilen 100-104).  In ihre Schlichtheit und Fleischlichkeit ist Bruegels spes eben nicht die Hoffnung, die in der Büchse bleibt und nicht die Liebe, die in Wolken unerreichbar schwebt. Wohlweißlich lässt er die Krähe, in der niederländischen Tradition sonst ein festes Attribut der fahlen Allegorien, deren unablässiger Schrei: „cras, cras“ Erfüllung und Glück immer nur auf „morgen, morgen“ verschiebt, weg. Es wird keine Agape aus diesen Wolken regnen und ebenso wenig wird die Hoffnung unter den Menschen noch wachsen. Was sich der Hand entgegenhebt, ist unsere Form der Hoffnung, in einer Zeit, die als erste keine Hoffnungen mehr kennt, weil sie sie nicht braucht. Es führt kein Weg in neues Land, keine Schritt, keine letzte Anstrengung ist mehr nötig, so scheint es. In der neuen Gewächshauswelt ist der Schnittertag ein Tag wie jeder andere. Jeden Tag wird die Ernte eingebracht. Tatsächlich ist jeder Tag ein kleiner Schnittertag. Alles festliche und Große ist von diesen abgefallen, so wie die Gewächshausökonomie die Idee der Hoffnung durchökonomisiert hat. Sie ist unnütz für diejenigen, die sich der Nahrung auf allen Gebieten und jederzeit sicher sein können, da Mittel und Wege gefunden wurden auch das anspruchvollste, zarteste Pflänzchen auf Substrat wachsen zu lassen. Heute hofft man auf ein Stück Plastik. Heute ist Pandora eine Barbiepuppe, ein Nummernmädchen. Die Automatenfrau ist ebenso die heutige Litfaßsäulenfrau, wie sie damals die Vorstellung einer in den Wolken schwebenden Liebe war. Epimetheus hatte Recht, als er der Vorstellung von dieser auf Wolken Schwebenden etwas zurief, wie: Komm runter. Ich will dich in Fleisch und nicht dort oben, denn ich habe die Büchse aufgemacht! Du, sei die eine aus dem Schwarm, sei mein Schwarm. Denn du trägst die Hoffung in dir, in deinem Leib, der sich meiner Hand so unsäglich schön anschmiegt. Nur hier, auf diesem schmutzigen Stück Erde, aus dem wir gemacht sind und die ich immer im Kopf trage, kann da noch Liebesglück sein und Hoffung. Ja, vielleicht zum ersten mal wirklich Hoffung, in der du gehst, die sich an deinem Brustkorb, dicht unter der Kerbe, wo die Schlüsselbeine zusammenlaufen, berühren lässt. Kleine, kleine Hoffung, die du mir gibst, Hoffnungsgabe/-garbe; mein Liebesglück als unverzichtbare Nahrung. Meine arme, schmale Küche, stickig und voller Wärme.    

Das spezifische Bedrängnis der Renaissance ist wohl entgültig vergessen, doch bleibt Bedrängnis: Die eine, große Hoffnung haben wir (oder waren es unsere Väter?) in den Wind geschrieben.