Was lohnt es
zu sagen, der
Mensch hätte sich verändert? Wenn auch die Natur
älter
würde oder sich überhaupt verändern
könnte etc.
Aber da etc. und das Glück, das uns durch die Natur beschieden
wird, und die Wege es zu erlangen immer unveränderlich und die
selben sind, wohin wird es uns führen, sie verlassen zu haben?
Was
zeigen uns so viele freiwillige Tode etc., wenn nicht, daß
die
Menschen dieser Existenz müde sind und ob ihrer verzweifeln?
In
der Antike brachten sich die Menschen um aus Leidenschaft, aus
Heroismus, aufgrund von Illusionen etc. und ihre Tode waren illuster
etc. Heute aber, da Heroismus und Illusionen verschwunden, und die
Leidenschaften dermaßen erschlafft sind,
was hat es zu
bedeuten, daß die Zahl der Selbstmorde so viel höher
ist,
und nicht nur unter illustren Personen, genährt von
großen
Träumen und wie einst aus großem Unglück,
doch in
jeder Klasse, so daß diese Tode nicht einmal mehr illuster
sind?
Was hat es zu bedeuten, daß England hierin immer fruchtbarer
war
als andere Erdteile? Heißt das, daß man in England
mehr
meditiert als anderswo, und wo immer man ohne Vorstellungskraft und
Enthusiasmus meditiert, man das Leben verachtet; heißt das,
daß die Erkenntnis der Dinge den Wunsch nach dem Tode leitet
etc.
Und heute sieht man Freitode mit aller Kaltblütigkeit begehen.
Und
tatsächlich, wenn wir die Ehrfurcht vor der Zukunft oder die
Hoffnung auf sie verwerfen, ist der nicht mehr so erbärmlich,
der
berechnend und kühl die Streiche eines nichtigen und toten
Lebens
abwägt, eines Lebens voller Leid, voll gewisser und
unvermeidlicher Langeweile etc. etc. etc.
Und dennoch bleibt der Selbstmord das
Monströseste in der Natur etc. etc.
Uns sind Selbsttäuschung und
Selbstüberlistung nicht mehr möglich. Die Philosophie
hat uns
derartig viel kennenlernen lassen, daß jenes Vergessen von
uns
selbst, das einmal so leicht war, mittlerweile unmöglich ist.
Entweder gewinnt die Vorstellungskraft wieder an Kraft und die
Illusionen nehmen wieder Gestalt und Substanz in einem
tatkräftigen und beweglichen Leben an und das Leben selbst
wird
wieder zu einer lebendigen statt einer toten Angelegenheit und die
Größe und die Schönheit der Dinge werden
wieder als
Substanz aufscheinen und die Religion wird ihre Achtung wiedergewinnen;
oder aber diese Welt wird zu einem Verlies von Verzweifelten und
Lebensmüden verkommen, und wahrscheinlich auch zu einer
Wüste. Ich weiß wohl, dies alles scheint Traum und
Wahn zu
sein, wie ich ebenso weiß, daß wer auch immer vor
dreißig Jahren diese unermeßliche Revolution von
Sachen und
Meinungen, welcher wir beiwohnten und noch immer beiwohnen und sogar
Teil ihrer sind, vorhergesagt hätte, niemanden gefunden
hätte, der seiner würdig genug gewesen wäre,
seine
Prophezeiungen zu verspotten etc. Jedenfalls ist es unmöglich,
dieses Leben, dessen Unglück und Nichts, ohne lebendige
Zerstreuungen, und ohne jene Illusionen, auf die die Natur unser Leben
errichtet hat, wir kennengelernt haben, weiterzuführen.
Trotz allem ist die Politik weiterhin
bestrebt beinahe rein mathematisch, statt
philosophisch zu sein, als ziemte es der Philosophie nicht, nachdem sie
alles zerstört hat, sich wieder zu bemühen erbaulich
zu sein
(obwohl dies doch gegenwärtig ihr wahres Bestreben sein
sollte, im
Gegensatz zu den Zeiten der Ignoranz) und als ob sie den Menschen
niemals etwas Guten bringen sollte, denn hier angelangt hat sie nichts
vollbracht als kleine Wohltaten und große Übel.
Der ursprüngliche Zweck der
Natur im Variieren
der Dinge: die Zerstreuung des Menschen, und ihn nicht zu lange an
einem Gegenstand verweilen zu lassen, nicht einmal im
Vergnügen,
welches, nachdem es lange nur Wunsch war, erst einmal ausgelebt, uns
wie Sand durch die Hände läuft, und wie jene
Hebräer,
die sagten
haec est
illa Noemis?, wir immer und unvermeidlich sagen werden
dies soll also das
große Vergnügen sein?
Der gesamte Plan der Natur vom menschlichen Leben dreht sich um das
große Gesetz Zerstreuung, Illusion und Vergessen. Je mehr
dieses
Gesetz aber an Kraft verliert, desto mehr gerät die Welt ins
Verderben.
Nur wenige vertreten den Gedanken, das
Antike sei
wahrhaftig glücklicher gewesen, als das Moderne, und diese
wenigen
erachten es als etwas, worüber nachzudenken nicht lohnt, da
die
Umstände andere geworden sind. Doch die Natur hat sich nicht
verändert, und ein anderes Glück gibt es nicht, und
die
moderne Philosophie kann sich nichts rühmen, wenn sie nicht
dazu
fähig ist, uns auf einen Zustand zu reduzieren, in dem wir
glücklich sein können. Ob antik oder nicht-antik, es
ist
beschlossene Sache, daß jenes dem Menschen ziemte, dieses
nicht,
und daß man damals auch sterbend lebte und man heute lebend
stirbt, und daß keine anderen Mittel existieren als jene
antiken,
um das Leben wieder zu lieben und zu fühlen.
Originaltitel:
"Frammento sul suicidio", geschrieben 1820
Aus dem Italienischen übersetzt von Adrian Giacomelli
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